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Inside Llewyn Davis

10
Drama

Die Vorfreude über einen neuen Coen-Film und die damit verbundene Erwartung ist immer groß. Trotzdem gelingt es ihnen aufs Neue ihr Publikum zu überraschen. Die Viennale zeigte Inside Llewyn Davis als Festivalauftakt.

Der Folk-Musiker Llewyn Davis (brillant: Oscar Isaac) lebt für seine Musik. Dass es sich davon nicht einfach lebt und er von Freund zu Freund und Couch zu Couch zieht, war bisher nie ein Grund für ihn, ans aufhören zu denken. Musikalisches Talent besitzt er ohne Zweifel, woran es meist scheitert, ist seine Unfähigkeit mit anderen Menschen (und auch Tieren) umzugehen. Doch was mit einer entlaufenen Katze beginnt, ist nur der Anfang einer mitunter haarsträubenden Odyssee, voller Humor, skurriler Figuren und durchaus tragischen Momenten.

Inside Llewyn Davis ist kein Film, der von seiner Handlung lebt, sie existiert viel mehr nur als elliptische Rahmenbedingung, als Fundament für die Figuren, die sich, gleich einem Sonnensystem, um das Zentrum der Anziehungskraft, um Llewyn Davis bewegen. Dabei handelt es sich bei ihm nicht mal um eine sonderlich sympathische Figur, sondern um einen Menschen, der kompromisslos für seine Musik lebt, allerdings ohne je den Antrieb oder Motivation aufzubringen, sich wirklich anzustrengen. In dieser Hinsicht ist Llewyn Davis ein geistiger Verwandter des “Dude” Lebowski. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Coen-Figuren ist jedoch der Umstand, dass Davis, im Vergleich zum “Dude”, nicht mit sich zufrieden und im reinen ist, weshalb die Stimmung der beiden Filme  natürlich grundverschieden ist.

Manchmal wäre er gern jemand anderer, doch es ist ihm nicht mehr möglich sich zu ändern, er befindet sich in einer Spirale, aus der es für ihn kein entkommen mehr gibt. Dadurch verwundert es auch nicht, dass es weniger Llewyn ist, der die Geschichte voran treibt, es sind viel mehr die Umstände um ihn herum, seine Mitmenschen, die ihn aktivieren, er selbst bleibt im Verlauf ein passiver “Held”, der höchstens reagiert, aber meistens einfach resigniert. Wie bei den Coens üblich lebt auch Inside Llewyn Davis vorwiegend von seinen fantastischen Figuren und den grandiosen Dialogen. Nicht nur Llewyn selbst, sondern auch das Sammelsurium an schrägen, liebevollen, genervten, verletzten und freundlichen Figuren, die Llewyn kennt oder kennen lernt, sind durchwegs interessante, lebendige Gestalten, die alle ihre eigene Geschichte haben, aber den Protagonisten meist nur einen kurzen Weg über begleiten.

Auch hier zeigt sich ein faszinierender Aspekt an Inside Llewyn Davis, denn die Coens legen zahlreiche falsche Fährten, was den Verlauf der Geschichte betrifft. Gerade wenn man denkt, dass sich der Film in eine bestimmte Richtung entwickelt, überraschen einem die Coens und schlagen einen anderen Weg ein. Doch sie machen diese Wendungen klüger als die meisten gegenwärtigen Filmemacher, was nur einmal mehr das große Können der Brüder unterstreicht. Deshalb kann es gut sein, dass man am Anfang ein wenig enttäuscht wird über den scheinbar banalen Anfang und die mögliche Geschichte, die sich daraus zu entwickeln droht. Doch der geduldige Zuschauer wird bald eines besseren belehrt.

 

Dadurch ist Inside Llewyn Davis zwar der am schwersten zugängliche Coen-Film seit The Man Who Wasn’t There und scheint gerade zu Beginn langatmig und langweilig zu wirken. Doch bloß weil ein Werk nicht für das Massenpublikum wirkt, ist das noch lange kein negativer Aspekt. Denn gleichzeitig, sobald sich der Zuschauer auf den Film eingelassen hat, wird er reich belohnt. Wie bei vielen ihrer Filme ist auch ihr neuer schwer zu vergessen, ohne dabei mit brutalen Szenen oder Kontroversen auffahren zu müssen, sondern viel eher dank seiner Zurückhaltung, dank seines subtilen Blickes in die Seele eines Mannes, der verzweifelt nach einem Platz im Leben und nach sich selbst sucht. Die teilweise enorm humorvollen, ironischen Dialoge und Figuren verhindern außerdem, dass Inside Llewyn Davis zu einer toternsten, melodramatischen Angelegenheit verkommt.

Ein Umstand, der auch den superben Darstellern zu verdanken ist. Oscar Isaac liefert eine schlichtweg beeindruckende Leistung, aber auch die Nebenrollen sind grandios besetzt, selbst Justin Timberlake weiß in einer feinen Nebenrolle zu überzeugen. Aber trotz all diesem Lob, darf man nicht vergessen, dass Inside Llewyn Davis ein Film ist, der Zeit braucht. So wie die Hauptfigur sich aus dem Kreis seines Lebens nicht mehr befreien kann, so sieht sich auch der Zuschauer in diesem Kreis gefangen und kann erst nach dem Ende wirklich alles begreifen und in sich aufnehmen. Abgesehen von den bereits erwähnten Punkten, ist gerade das etwas, was Inside Llewyn Davis zu einem grandiosen Werk macht, denn der Film arbeitet noch lange nach seinem Abspann im Kopf des Zuschauers weiter und je länger man darüber nachdenkt, desto großartiger wird er. Ein würdiger Start für die diesjährige Viennale.

Regie & Drehbuch: Joel Coen, Ethan Coen, Darsteller: Oscar Isaac, Carey Mulligan, Justin Timberlake, John Goodman, Garrett Hedlund, F. Murray Abraham, Laufzeit: 105 Minuten, Kinostart: 06.12.2013, gezeigt im Rahmen der Viennale V‘ 13www.insidellewyndavis.com