Dredd-©-2012-Constantin

Dredd oder warum der Judge zu komplex für den Mainstream ist

Wieso wurde die diesjährige Verfilmung von Dredd (zur Kritik) eigentlich kein Kinoerfolg? Er basiert auf einer erfolgreichen Comicbuchreihe. Es ist ein Actionfilm. Und er ist sogar in 3D. Zutaten, die erfolgsversprechend klingen. Dennoch blieb das Einspielergebnis weit hinter den Erwartungen zurück. Nur woran liegt das?

Offensichtliche Faktoren wären eventuell, dass Pete Travis ein bisher eher unbekannter Regisseur ist. Oder, dass Karl Urban nicht genug Starpower hat, um Zuschauer anzulocken. Womöglich liegt aber auch die misslungene (wenngleich in manchen Kreisen durchaus geschätzte) Judge Dredd-Verfilmung aus dem Jahre 1995 mit Sylvester Stallone in der Hauptrolle noch schwer im Magen, denn auch damals floppte der Streifen in den Kinos und das, obwohl Stallone wohl genauso eine Unmenge an Starpower besaß wie Steroide. Oder kann es vielleicht sogar deshalb sein, weil der Antagonist eine Frau ist und noch dazu Mama heißt? Oder ist es so banal wie die Tatsache, dass Dredd halt nie zu sehen ist, weil er stets seinen Helm auf hat.

Zwar alles keine legitimen Gründe für das Scheitern des Films, aber durchaus Möglichkeiten, warum Zuschauer nicht in Massen ins Kino geströmt sind. Es mag sein, dass es niemanden etwas bringt, wenn der bekannteste Filmschaffende in einem Projekt der Drehbuchautor ist, denn sein wir mal ehrlich, wer interessiert sich im Filmgeschäft (und oftmals auch die Zuschauer und Kritiker) schon für den Autor? Doch all diese Gründe, so möglich sie auch sein mögen, kratzen nur an der Oberfläche. Die Regie von Pete Travis ist nämlich überraschend gut und originell. Karl Urban liefert eine beeindruckende und schon jetzt sträflich unterschätzte Leistung (der Mann muss alles unter einem Helm spielen und schafft es dennoch seiner Figur eine Autorität und Bedrohlichkeit zu verleihen, die in diesem Kinojahr seinesgleichen sucht). Sogar die verdammte 3D-Technik funktioniert hier endlich einmal. Und abgesehen davon ist Dredd einfach ein verdammt geiler Actionfilm!

Das Problem liegt woanders begraben. Dredd ist nämlich nicht nur einer der intelligentesten Actionfilme der letzten Zeit, sondern gleichzeitig auf subtile Art und Weise verstörend, das beinahe unangenehm sein kann. Doch dieser Aspekt ist nicht in der Brutalität des Films begründet, damit könnte das Publikum vermutlich leichter umgehen. Fakt ist, dass Judge Joe Dredd eine zutiefst faschistische Figur ist, für die das Gesetz und dessen strikte Befolgung über allem steht. Er repräsentiert das Gesetz und wenn es jemand übertritt, muss der Delinquent zur Rechenschaft gezogen werden. Man kann nicht mit ihm verhandeln, er geht keine Kompromisse ein und, wenn es bedeutet einen ganzen Häuserblock voller Menschen zu vernichten nur damit ein Verbrecher bestraft wird, dann wird er das ohne zu zögern tun, sogar wenn er selbst dabei draufgehen könnte.

Judge Dredd verkörpert ein totalitäres Regime, welches in einer brutal übervölkerten Gesellschaft, die im Begriff ist sich selbst zu zerfleischen, die einzig logische Antwort zu sein scheint, die Behörden und Regierungen parat haben. Seine Figur wird gleichgesetzt mit diesem Regime, allein durch die Tatsache, dass wir nie sein ganzes Gesicht zu sehen bekommen, ist er mehr eine Institution, eine Macht, mit der man rechnen muss, denn ein echter Mensch. Einen Gegenpol bilden die Menschen im Häuserblock oder seine junge Partnerin, die noch in der Ausbildung steckt. Entweder sie kämpfen verzweifelt ums Überleben (und dabei ist ihnen jedes Mittel recht), um einen Funken Freiheit oder einfach nur um ihre Menschlichkeit, ihre Gefühle und Emotionen.

Gleichzeitig ist dieser Vertreter des Gesetzes natürlich die zentrale Hauptfigur, mit der sich der Zuschauer gezwungen sieht sich zu identifizieren. Und das Erschreckende daran: wir tun es tatsächlich und wir tun es gerne. Wir nehmen die Welt durch seine Augen und sein Visier wahr, werden eingeführt in sein Lebensumfeld. Plötzlich finden wir es gut, wenn und vor allem wie er die Verbrecher zur Strecke bringt, insgeheim gefällt uns das, wir würden es genau so tun, wenn wir an seiner Stelle wären. Genau das, wenngleich nicht bewusst, aber so doch unbewusst, verstört an der neuen Verfilmung von Dredd, macht den Film zwar unzugänglich und zu komplex für ein Mainstream-Publikum, aber auch gleichzeitig nicht nur zu einem der interessantesten und mutigsten Actionfilme, sondern Dredd selbst zu einer in höchstem Maße zwiespältigen Identifikationsfigur. Einerseits ist es abschreckend, was er verkörpert, andererseits sind wir fasziniert davon, wie er es tut (das alles würde übrigens niemals ohne die beeindruckende Leistung von Karl Urban gelingen).

Freilich wird das Ganze von Action, Spannung und markanten Sprüchen kaschiert und überzeichnet, aber niemals bis zur Unkenntlichkeit, niemals bis ins Lächerliche und stets seiner erfundenen Welt und Figuren treu bleibend. Am Ende fragt man sich, ob man hier wirklich zum Guten gehalten hat oder ob nicht der Gute eigentlich der Böse war. Bei genauem Hinsehen entpuppt sich auch das als Trugbild, eine so einfache Schwarz-Weiß-Malerei gibt es in Dredd nicht. Es ist alles eine Frage der Perspektive. Mag sein, dass Dredd kein Kassenerfolg war, hoffentlich wird es ein Kultfilm, verdient hätte er es, denn es ist selten, dass uns ein Actionfilm mit einer derart anspruchsvollen, interessanten und auch fragwürdigen Hauptfigur konfrontiert.